Immer mehr Kinder zeigen auffälliges Verhalten – sie wirken unkonzentriert, überdreht,
besonders emotional oder ziehen sich stark zurück.
Viele Eltern fragen sich: Ist das noch normal oder braucht mein Kind Hilfe?
Doch bevor der Weg direkt zu Diagnosen und Therapien führt, lohnt es sich, genauer hinzuschauen.
Vom "Problemkind" zum Therapiemarathon
Sobald sich ein Kind außerhalb der Norm bewegt – sei es durch Trotz, Wutanfälle,
Schulverweigerung oder starke Ängstlichkeit – beginnt oft ein langer Weg durch
verschiedene Therapien. Eltern wollen helfen, doch der Fokus liegt dabei meist auf der
Bekämpfung von Symptomen. Die Frage nach dem "Warum" bleibt oft unbeantwortet.
Beispiel: Der sechsjährige Paul rastet im Kindergarten regelmäßig aus, wenn sich jemand
seinen Spielsachen nähert. Schnell wird ADHS vermutet, die Kinderärztin schickt ihn zur
Ergotherapie, die Erzieherin spricht von „sozialem Training“. Doch keiner fragt: Was macht
Paul so wütend?
Die Eltern suchen Rat in unserer Praxis. Das Gespräch zeigt: Zuhause fühlt er
sich ständig übergangen, seit die kleine Schwester da ist. Seine Wut ist ein Hilferuf.
Die Ursache liegt oft tiefer Verhaltensauffälligkeiten sind keine Zufälle – sie haben Ursachen.
Häufig zeigen Kinder durch ihr Verhalten, was in ihnen vorgeht. Statt das auffällige Verhalten
zu "beseitigen", sollten Eltern und Fachleute versuchen zu verstehen, welche Botschaft darin steckt.
Kinder, die ihre Gefühle nicht anders ausdrücken können, nutzen Wut, Rückzug oder Trotz als Sprachrohr
ihrer inneren Not.
Beispiel: Die achtjährige Lara verweigert regelmäßig die Hausaufgaben. Stundenlang sitzt sie
trotzig am Tisch, jede Hilfe wird abgeblockt. Diagnoseverdacht: Schulverweigerung.
Laras Eltern nehmen Kontakt zu uns auf. Gemeinsam finden wir durch Gespräche mit den Eltern
und auch durch eine Testung auf Lese-Rechtschreibschwäche heraus, dass hinter Laras
Verhalten ein tiefes Schamgefühl steckt – sie hat eine unerkannte Lese-Rechtschreib-
Schwäche. Erst als diese benannt wird, kann Lara aufatmen. Sie fühlt sich befreit von dem
Gefühl, dass etwas mit ihr nicht stimmt.
Schubladendenken hilft nicht weiter
Diagnosen wie ADHS, Hochsensibilität oder LRS können hilfreich sein – doch sie sind kein
Allheilmittel. Vielmehr droht die Gefahr, dass Kinder in eine Kategorie gesteckt und nur noch
durch diese Brille gesehen werden. Das führt nicht selten dazu, dass die eigentlichen
Ursachen unentdeckt bleiben.
Beispiel: Tom (9) wird als hochsensibel bezeichnet. In der Schule fällt er durch häufiges
Weinen und Rückzug auf. Statt seine Reizoffenheit zu verstehen, beginnt ein
Diagnostikmarathon – am Ende steht die Empfehlung für ein ADHS-Medikament. Doch Toms
Reaktionen entstehen aus einer hochsensiblen Wahrnehmung – nicht aus einer Krankheit.
Eltern als Schlüssel zur Lösung
Ein wichtiger Ansatz in unserer Praxis ist, dass nicht ausschließlich das Kind im Fokus steht,
sondern auch das Umfeld sowie das Familiensystem berücksichtigt werden. Wir arbeiten mit
Müttern und Vätern daran, die Dynamik hinter dem Verhalten zu verstehen und emotionale
Botschaften zu entschlüsseln. Das Ziel ist eine Beziehung zum Kind, die auf Verständnis und
Verbindung beruht.
Beispiel: Ben (7) hat seit Jahren Schlafprobleme, nässt nachts regelmäßig ein. Verschiedene
Therapien brachten keinen Erfolg. Die Eltern sind ratlos und melden sich in unserer Praxis.
Nachdem sie beginnen, sich mit ihren eigenen Ängsten und dem familiären Druck
auseinanderzusetzen, bessert sich Bens Schlaf. Die Symptome verschwinden, als die
Beziehung innerhalb der Familie sich verändert hat.
Verstehen statt bewerten
Kinder mit großem Gefühlsausdruck brauchen kein "Feintuning", sondern Menschen, die ihre
Intensität aushalten können. Der Unterschied zwischen starker Emotion und
behandlungsbedürftiger Störung liegt oft nur im Maß und in der Häufigkeit. Wichtig ist: Jedes
Verhalten hat einen Ursprung.
Beispiel: Emma (5) hat tägliche Wutanfälle, schreit, tritt, weint. Ihre Eltern sind ratlos. Die
Eltern erhalten vor unserem Beratungsgespräch einen Fragebogen, anhand dessen sie sich
sehr ausführlich mit verschiedenen Fragestellungen zur Vorbereitung auf unser Gespräch
beschäftigen. Im Gespräch mit den Eltern wird dann deutlich, dass Emma starke
Trennungsschmerzen erlebt, seit sie von der Kita in eine neue Gruppe wechseln musste. Mit
sanfter Begleitung und einer klaren Struktur kann sie sich bald wieder sicher fühlen – die
Anfälle nehmen ab.
Neurodiversität als Ressource begreifen
Kinder mit ADHS, Autismus oder Hochbegabung funktionieren anders – nicht schlechter. Die
sogenannte Neurodiversität beschreibt diese Vielfalt als wertvollen Bestandteil unserer
Gesellschaft. Statt Anpassung an die Norm brauchen diese Kinder Verständnis, individuelle
Förderung und ein Umfeld, das ihre Besonderheiten anerkennt.
Beispiel: Leo( 10 ) wurde in unserer Praxis auf Hochbegabung getestet. Er ist ein
pfiffiger Junge mit großer Fantasie, aber null Interesse an Mathehausaufgaben. Seine
Lehrerin hält ihn für faul und unkonzentriert. Erst ein Perspektivwechsel zeigt: Leo braucht
Herausforderungen, kreative Lernformate – nicht mehr Druck. Als er eigene Projekte
umsetzen darf und vor allem die für ihn so lästigen Wiederholungen von Stoff, den er schon
lange automatisiert hat, vermieden werden, blüht er förmlich auf. Er zeigt wieder Interesse
an Mathematik und fällt durch seine Mitarbeit im Unterricht positiv auf.
Hoffnung für Eltern
Die gute Nachricht ist: Es ist nie zu spät, umzudenken. Wenn Eltern lernen, Symptome als
Hinweise zu verstehen und gemeinsam mit ihrem Kind die Ursachen zu erkunden, entsteht
Veränderung. Ein Kind, das seit Jahren mit Wut reagiert, kann lernen, sich anders
auszudrücken – wenn es wirklich gesehen und verstanden wird.
Beispiel: Mia (6) reagiert ständig mit Trotz, wenn sie etwas nicht darf. Ihre Eltern fühlten sich
lange hilflos. Mia wird in unserer Praxis getestet. Heraus kommt eine Höchstbegabung. Im
Elternnachgespräch erkläre ich den Eltern den Unterschied von Mias realem Alter zu Mias
„gefühlten Kopfalter“. Die Eltern setzen viele Tipps im Alltag um. Sie beginnen, Mia ernst zu
nehmen, obwohl sie doch noch so jung ist und ihr Entscheidungen im Alltag zuzutrauen. Sie
werten ihre Frustration nicht ab, sondern akzeptieren sie und unterstützen sie, Frustration
auch auszuhalten. Dadurch verändert sich recht schnell etwas. Mia wird kooperativer – weil
sie sich endlich gehört fühlt.
Fazit
Nicht jedes auffällige Verhalten braucht eine Diagnose. Manchmal braucht es nur einen
anderen Blickwinkel – einen, der das Kind nicht als „Problem“, sondern als Botschafter seiner
Gefühle sieht. Dort beginnt echte Veränderung – mit Herz, mit Verständnis und mit dem
Mut, genau hinzusehen.
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Die Begabungsspezialisten Renate und Bernd Weber
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